
Für mich persönlich ist die Technik der Familienaufstellung oder generell der Aufstellungsarbeit das effektivste Verfahren in der psychologischen Beratung. Ich bin begeistert davon und habe mich in dieser Technik ausbilden lassen, um Menschen in ihren emotionalen Verstrickungen helfen zu können.
Einer meiner Klientinnen (Sanja M.) habe ich gebeten, nachträglich ein Protokoll unserer Sitzung zu erstellen, um anderen Menschen an ihrem Beispiel zu zeigen, wie eine Familienaufstellung ablaufen kann.
Protokoll einer Familienaufstellung mit Figuren
Sanja M. aus Hannover schreibt:
Früher kannte ich nur reine Gesprächstherapie. Es ist schön und gut, wenn man einen Therapeuten hat, der einem zuhört und mitfühlend nickt, aber mich persönlich brachte das nicht weiter, und so vergingen viele Jahre in Traurigkeit und Sinnlosigkeit.
Wie kam ich zu einer Familienaufstellung?
Eines Tages hörte ich von einer Bekannten, die begeistert von ihrer Familienaufstellung sprach: “Da passiert etwas mit Dir.” Bei der gängigen Gesprächstherapie beim Psychologen hatte ich nicht das Gefühl, dass dort etwas passiert … Eine klassische Familienaufstellung findet in einer Gruppe statt. Man stellt aus den Teilnehmern der Gruppe seinen “Fall” auf. Ich recherchierte im Internet nach Familienaufstellungen in Hannover und fand Frau Mahlina, die auch Aufstellungen anbietet.
Am Telefon, meinte sie, dass wir für meinen Fall keine Gruppe benötigen würden. Ich könnte mein Problem in einer Einzelsitzung aufstellen.
Ehrfahrungsbericht Familienaufstellung Mutterthema

Was passierte konkret in meiner Familienaufstellung? Nachdem ich meinen Fall kurz beschrieben hatte, stellte Frau Mahlina zwei Figuren auf ein Bett (Systembrett). Eine Figur war ich, die andere meine Mutter. Ich stand quasi meiner Mutter gegenüber. Dann forderte sie mich auf, diese Figur länger anzuschauen. „Was fühlen Sie?”, fragte sie mich. Meine Kehle war blockiert, ich konnte kein Wort sagen. Tränen flossen über mein Gesicht. Mein Kummer war so groß, dass ich nicht sprechen konnte. Frau Mahlina ließ mich einfach weinen. Ich habe es gebraucht …
Das Thema meiner Aufstellung war der jahrelange Konflikt mit meiner Mutter. Unsere Beziehung war in der Kindheit sehr eng (schon zu eng), und im Erwachsenenalter wurde es zu einer Horrorbeziehung. Sie mischte sich immer überall ein und wollte Kontrolle über mein Leben haben. Wenn ich ihr diese Kontrolle verweigerte, zog sie sich zurück und manipulierte mich mit Schuldgefühlen, was ich wohl für eine rücksichtslose Person sei. Immer wieder knickte ich ein, aber die Wut in mir wuchs ins Unermessliche. Ich wurde immer trauriger.
Nach einer Weile fragte Frau Mahlina mich: “Was wollen Sie ihrer Mutter sagen?” Stille. Ich konnte immer noch nicht reden. Doch dann sagte ich ihr, dass sie mein Leben kaputt macht, dass sie mich quält, dass sie mich nicht versteht, dass ich sie dafür hasse. Ich war wütend. Frau Mahlina forderte mich auf, ihr alles zu sagen, was ich über sie denke. Zunächst war mir unwohl. Wie kann ich meiner Mutter alles sagen, sie ist doch meine Mutter, ich muss Respekt haben. Aber Frau Mahlina forderte mich weiter auf, und es schoss aus mir heraus. Ich war in Rage und habe sogar Schimpfwörter benutzt. So groß war mein Schmerz. Danach war ich sehr erschöpft und musste einfach nur schweigen. Nachdem alles gesagt war, dachte ich, dass die Sitzung vorbei sei …
Frau Mahlina schaute mich an und sagte: „Alles, was sie jetzt gesagt haben, hat ihre Mutter gehört. Springen Sie gedanklich jetzt in die Figur Ihrer Mutter. Wie würde sie jetzt darauf reagieren?” Ich war geschockt, dass ich jetzt in die andere Figur auf dem Brett springen sollte. Das erwies sich als schwierig, denn ich war noch so fest in meiner Figur verankert. Wir machten eine kurze Atemmeditation, und ich sollte mir vorstellen, was meine Mutter trägt und wie sich mich anschauen würde. Ich ging also gedanklich in ihre Figur ein. „Wie würde Sie reagieren?” wiederholte Frau Mahlina. Wenn sie solche Anschuldigungen hört, würde sie weinen. „Dann soll sie weinen”, erwiderte Frau Mahlina. Und sie weinte (ich in der Figur meiner Mutter)… Sie hätte niemals damit gerechnet, dass ich, ihre Tochter, ihr sowas sage und sie so beschuldigen würde. (Vielleicht habe ich es ihr auch deshalb nie im Leben gesagt)
Die Mutter (ich in der Figur) weinte und fühlte starken Schmerz und Fassungslosigkeit. Sie hätte doch alles gegeben, was sie als Alleinerziehende geben konnte. Sie hatte alle ihre Bedürfnisse aufgegeben, um mir und meiner Schwester ein besseres Leben in Deutschland zu bieten, als sie es selbst in Mazedonien hatte. Meine Mutter hatte einen gewalttätigen Vater, der sie blutig schlug, und eine dominante Mutter, die nie Zeit für sie hatte und alles in ihrem Leben bestimmte. Ihre Bedürfnisse existierten nicht, und sie hat bei diesen Eltern einfach nur „überlebt“. Deshalb wollte sie für ihre Kinder eine besonders fürsorgliche Mutter werden. Ihre eigenen Kinder sollten nie leiden, ihnen sollte es an nichts fehlen. Und jetzt – was ist daraus geworden? Sie hat als Mutter versagt. Ihre Enttäuschung war groß.
An dieser Stelle wollte Frau Mahlina, dass ich wieder in meine (ursprüngliche) Figur gehe. „Was denken Sie über Ihre Mutter?“ . Ich war still und nachdenklich. Zum ersten Mal hatte ich Mitgefühl für sie. Ich sah diese arme Frau, die selbst in ihrer Kindheit so stark gelitten hat. Noch nie habe ich diesen Aspekt so wahrgenommen wie in dieser Familienaufstellung mit Figuren. Wie soll sie mich erziehen, wenn sie selber so eine dominante Mutter erlebt hat? Wie kann sie mir etwas geben, was sie selber nie erfahren hat? Ich wurde innerlich nachdenklicher und ruhiger. Meine Wut hat sich in Mitgefühl transformiert. Ich spürte Frieden in mir.

Dies war meine erste Familienaufstellung bei Frau Mahlina zum Thema Mutter. Einige Wochen später kam die Wut jedoch wieder, und ich hatte eine weitere Aufstellung angefragt. Diesmal kamen andere Situationen mit ihr hoch, die meine Wut erneut getriggert haben. Ich habe mehrere Familienaufstellungen gebraucht, um die komplette Wut auf meine Mutter zu verarbeiten. Wir haben uns mit Frau Mahlina noch ein paar Mal online getroffen. Der gesamte Aufstellungsprozess erinnert mich an eine Zwiebel, bei der die Schale Schicht für Schicht abgearbeitet wird.
Inzwischen fühle ich Frieden, Respekt und Dankbarkeit für meine Mutter. Leider lebt sie nicht mehr, aber im Herzen sind wir wunderbare Freunde geworden. Ich bin Frau Mahlina zutiefst dankbar, dass sie mich bei diesem Prozess begleitet hat.
Ich hoffe, Ihr habt jetzt eine Vorstellung davon, wie eine Familienaufstellung auch mit Figuren, ohne eine Gruppe, ablaufen kann.
Alles Liebe,
Sanja M. aus Hannover
Vielen Dank für Deine Offenheit liebe Sanja. Deine Geschichte berührt mich 🙏